Der Weg nach Minsk 

6:00 am Flughafen Zürich. Im Vergleich zu der erst erwachenden Stadt ist hier bereits ganz schön viel los. Koffer werden zu den bereits langen Schlangen am Check-in geschoben, Pässe gesucht, manch einer versucht die Müdigkeit mit einem ersten Kaffee zu vertreiben. Mitten in dem Trubel stehen wir, die sechs Teamitglieder und drei Coaches, sowie einige Eltern. In einigen müden Worten werden die Stunden Schlaf verglichen – die Bilanz fällt allerdings ziemlich kläglich aus.

Zwei Stunden später sind wir bereits unterwegs nach Paris. Die meisten schlafen, und einige haben so das Pech, das Croissant au chocolat zu verpassen.

In Paris gelandet geht die Odyssee zu unserem Gate los. Zwei Busse und eine Sicherheitskontrolle später haben wir es geschafft – denken wir. Bis wir gleich vor unserem Gate noch durch keine Passkontrolle müssen. Was kein Problem wäre, bloss haben wir in unserem multinationalen Team auch jemand mit einem französischen Pass. Und die Polizistin will ihn erst nicht durchlassen, da es ihr verdächtig scheint, dass die Einverständniserklärung der Eltern auf Englisch und nicht Französisch verfasst ist. Um die anderen fünf Minderjährigen, die bereits auf der anderen Seite der Passkontrolle warten, scheint sie sich keine Sorgen zu machen. Dank einiger Überzeugungsarbeit vonseiten Florians dürfen wir dann doch mit dem ganzen Team weiterreisen.

Im Flug nach Minsk kommen die, die nicht gerade schlafen, schliesslich zum ersten Mal in Bekanntschaft mit belarussischem Essen. Es gibt ein Brötchen, etwas das sowohl Streichkäse als auch Butter sein könnte... und was ist den das? Was erst aussah wie eine immense getrocknete Aprikose stellt sich als Trockenfleisch heraus. Und der vermeintliche Schokokuss (das ist doch jetzt die offizielle Bezeichnung?) schmeckt nach Zitrone. Interessant.

Opening ceremony und Science Fight 1

Um 8.30 am nächsten morgen versammeln wir uns vor dem Hotel. Trotz bis tief in die Nacht dauernden Vorbereitungen haben wir etwas mehr Schlaf auf dem Buckel als tags zuvor. Erstmals machen wir uns auf dem Weg zum Frühstück. Dieses wird uns in einem Gebäude serviert, das aussieht wie ein Stadttheater. Jedenfalls hat es einen Saal, der gross genug ist um Tische für uns alle zu fassen. Anschliessend machen wir unseren Weg ins Belarusian State University Lyceum. Wir lassen uns in die bequemen lila Sessel des grossen Saals sinken (aber wehe, man wagt es darauf zu essen oder trinken!) und geniessen die Eröffnungszeremonie. Erst werden die Gruppen für die ersten vier Science fights ausgelost. Anschliessend haben die Teams das erste Mal die Möglichkeit, sich Punkte für ihr Team zu holen. Jedes Team stellt sich und sein Land vor. Aber wehe, es dauert über 3 Minuten! Dann gibt es zur Strafe 10% Punktabzug. Im Gegensatz zum Vorjahr entrinnt die Schweiz dieser Strafe haarscharf, und holt sich am zweitmeisten Punkte. Unser Swiss Quiz ist gut angekommen – ob das wohl an der Schokolade liegt, die wir verteilt haben?

Nach einem späten Mittagessen gehts dann richtig los: der erste Science Fight steht an. Wir treffen auf die Teams “Greece-Pinewood” und “Russia-13 Element”. Das gegnerische Team fordert, Problem fünf “After the Tempest” von uns präsentiert zu bekommen. Wir nehmen die Herausforderung an, und drei Minuten später geht es los. Cajetan erklärt, wie mithilfe von Sand und Kieselsteinen auch nach über einer Woche noch gesagt werden kann, in welche Richtung in einem Gefäss mit Wasser umgerührt wurde. Die Präsentation kam gut an – selbst beim Abendessen wurde noch am Tisch der Juroren über die ruhige und zugleich überzeugende Art der Präsentation gesprochen. Das Resultat waren 21.4 Punkte.

Als nächstes machen wir den Review zur Präsentation des griechischen Teams zum vierten Problem, “sunflower spirals”. Dabei musste die Anordnung der Samen einer Sonnenblume geometrisch beschrieben werden. Zum ersten Mal muss unser Team beweisen, dass es auch spontan auf andere Lösungen reagieren kann. Und wie es das kann! Wir erreichen einen Durchschnitt von 9.1 von 10 Punkten, drei Juroren geben uns gar die Höchstnote.

Zuletzt sind wir mit der Opposition an der Reihe. Im kleinen Klassenzimmer, in dem wir sitzen, herrschen gefühlt 35°C. Doch das Team ist hochkonzentriert, und Adam holt mit seiner starken Opposition zu Problem sechs “Soundproofing” 16.4 von 20 Punkten. Mit einem Total von 46.9 Punkten sichert sich das Schweizer Team so den ersten Platz auf der Rangliste. Was für ein Start!

Beim Abendessen herrscht freudig-aufgeregte Stimmung, doch zurück im Hotel geht es wieder an die Arbeit. Denn am nächsten Tag folgen bereits zwei weitere Science Fights mit zwölf Problemstellungen, die gefordert werden könnten. Es werden Präsentationen geübt, Strategien durchgedacht, Vorlagen für Opposition und Review erstellt – bis schliesslich um 1:00 morgens alle sich die nötige Erholung für einen nächsten Turniertag holen.

Science Fight 2 & 3

Am nächsten morgen, nach einem abermals etwas ungewöhnlichen Frühstück – meist gab es gekochten Buchweizen und eine Art Hüttenkäse – dürfen wir als erstes beweisen, dass der Review am Vortag kein Anfängerglück war. Cajetan erhielt für seinen Review zu “Fading in Sunlight” eine 9. In der nächsten Runde überzeugt Margot mit einer Opposition zu “Yeast”, wobei es die Wachstumsrate von Hefe bei unterschiedlichen Temperaturen zu untersuchen gab.

Vor der Mittagspause sind wir schliesslich mit der Präsentation dran. Adams Präsentation zu “Moon” wird von einem Juror sogar mit der Bestnote 30 bewertet. Im Schnitt erhalten wir 25.4 Punkte, was uns zu insgesamt 51.2 Punkten für die Runde führte. Die höchste Punktzahl pro Runde, die in diesem Turnier je erzielt wurde!

“Invent yourself”: unter diesem Motto stehen die Probleme am Nachmittag. Sie machen die fights noch unberechenbarer, denn sie sind noch offener formuliert. Beispielsweise musste man Brot auf unterschiedliche Arten backen und die Resultate vergleichen. Wir fordern zuerst das Team “Bulgaria-Penultimate” heraus. Diese lehnen allerdings unsere ersten zwei Herausforderungen ab und präsentieren schliesslich “Short term memory”. Jade hielt eine interessante Diskussion und erhielt 15.1 Punkte dafür.

Nach zehn Minuten sind alle wieder im heissen Klassenzimmer versammelt. Wir sind bereit für die Herausforderung und nehmen die erste auch gleich an: Margot präsentiert “Eye movements”. Dabei galt es, einen psychologischen Effekt auf die Wahrnehmung und auf Augenbewegungen zu untersuchen. Beispielsweise untersuchte sie, welchen Gesichtsausdruck bei einer Auswahl aus vier den Blick als erstes auf sich zog. Unsere Präsentation kam abermals gut an und wurde mit 23.9 Punkten bewertet. Zusammen mit den 8.7 Punkten von Henrys Review in der letzten Runde zu “Baking bread” können wir unseren Vorsprung an der Spitze der Rangliste sogar noch ausbauen.

Müde und zugleich aufgekratzt nach sechs Stunden Science Fight und so einem Resultat gehen wir Abend essen und anschliessend mit dem etwas klapprigen Minsker Tram zurück ins Hotel. Nachdem wir abermals den Türen des Hotellifts entkommen sind (wehe man drückt den Knopf für das Stockwerk zu früh, der Lift wird sofort schliessen und losfahren!) besammeln wir uns, um Strategien für den nächsten Tag zu überlegen. Denn am nächsten Nachmittag steht eine besondere Herausforderung an: mit grosser Wahrscheinlichkeit werden wir im Halbfinale antreten können. Und gleichzeitig darf niemand Präsentation, Opposition oder Review machen, der diese Rolle im gesamten IYNT bereits einmal innehatte! Also nichts mit Schönheitsschlaf, es wird vorbereitet.

Science Fight 4 und Halbfinale

So schmücken uns am nächsten Tag vor allem Augenringe und Schweissperlen. Zum Glück ist der Minsker Lebensstil im Vergleich zum unsrigen etwas nach hinten versetzt und wir müssen erst um 9.00 zum Morgenessen erscheinen.

Einfacher wird es natürlich nicht. In Runde vier müssen die Probleme ad hoc innert 45 Minuten lösen. Mit Therorie, Experimenten und gleichzeitiger Vorbereitung für Review und Opposition! Unser Team versteht die nicht ganz eindeutige Problemstellung leider genau falsch herum, was trotz guter Methodik und Präsentation bei einigen Juroren weniger gut ankommt. Wir müssen uns mit 16.4 Punkten begnügen. Immerhin bleiben unsere Opposition- und Review-Skills unverändert gut. Somit gewinnen wir den Fight trotzdem mit sechs Punkten Abstand.

Wirklich eng wird es erstmals im Halbfinale: unsere Gegnerteams “Bulgaria-Sofia A” und “Georgia” wuchsen im Vergleich zu vorhergehenden Runden wahrlich über sich selbst heraus. Die starke Opposition von Henry zu “Burning Glass” wird mit einer 16.8 bewertet. Das genau gleiche Ergebnis erzielt aber “Bulgaria-Sofia A” ebenfalls mit ihrer Opposition zu Lillis Präsentation “2D foam”. Wir erhalten für die Präsentation 21.9 Punkte – Georgia für den Review ganze 9.3! Bulgarien erhält 0.2 Punkte mehr als wir für ihre Präsentation, Jades Review dafür ebenfalls 0.2 Punkte mehr als der Review von Bulgarien. Hektisch tippen wir die Resultate in unserer Excel Tabelle mit. Es herrscht Punktegleichstand! Aber dank unserem bisherigen Vorsprung dürfen wir in das Finale einziehen. Was für eine Erleichterung nach diesem hochspannenden, dreistündigen Halbfinale!

“Exkursion”

Damit wir etwas von dem Land sehen, in dem unser Turnier stattfinden, hat das Organisationskomittee für Donnerstag eine Exkursion organisiert. Da wir aber tags darauf im Finale antreten werden, entscheiden sich alle Teammitglieder und zwei Coaches dazu, den Tag im Hotel mit Vorbereitungen zu verbringen. Nebst unzähligen Schokoladentafeln werden literweise Apfelsaft getrunken. Gut gilt Zucker nicht als Doping. Natürlich essen wir auch ein anständiges Mittagessen draussen vor dem Hotel. Als der Abend naht, steigt die Spannung im Team. Wo immer es geht, wird noch verbessert, und unser Captain googelt sich durch Naturwissenschafts-“funfacts” für den Captain’s contest vor dem Finale. Trotzdem schaffen wir es für einmal zeitig ins Bett.

Das Finale & der letzte Tag

Er ist da, der letzte Tag, und die letzte grosse Herausforderung. Zwanzig vor elf treffen wir im grossen Saal ein, wo das Finale stattfindet. Um 11.00 beginnt der Captain’s contest, der von Kroatien mit dem beeindruckenden Ergebnis von 5/5 Punkten gewonnen wird. Damit bestimmen sie die Reihenfolge. Zuerst präsentiert Kroatien “yeast”. Obwohl Margot viele wichtige Punkte in ihrer Opposition anspricht und praktisch ohne zu zögern eine Frage nach der anderen stellt, ist sich die Jury nicht ganz einig mit der Bewertung. Ob Physikern die Diskussion über Mitose und Meiose bei der Teilung von Hefezellen zu weit geht? Trotzdem erzielen wir mit 15.2 Punkten ein vergleichbares Resultat wie die anderen Teams. Anschliessend präsentiert Lilli “Elastic bones”: an 36 verschiedenen Knochen hat sie untersucht, wie elastisch sie werden, wenn man sie in verschiedene Säuren einlegt. Schlagfertig antwortet sie auf die wirklich interessanten Fragen der Opposition. Die allermeisten Juroren vergeben entsprechend hohe Noten – nur erhalten wir auch eine 13 und eine 15, die leider vom Juror nur unzureichend begründet werden kann. In der Pause kommt sogar eine Zuschauerin auf uns zu, sie forsche in einem ähnlichen Gebiet und wolle sich beschweren, da die Noten ihrer Meinung nach zu tief waren. Leider können Bewertungen von Juroren nicht mehr angepasst werden, und so heisst es: Kopf hoch und weitermachen!

Die anschliessende Präsentation von Neuseeland zu “burning glass” erhält die höchste Bewertung von 23.5 Punkte, Kroatiens Opposition 15.5 Punkte. Adam kann in seinem Review eine ganze Reihe wichtiger Punke abdecken und erhält eine 8.7. Als kurz später die Resultate verlesen werden, macht sich die Enttäuschung breit. Wir haben mit 0.3 Punkten Abstand auf Kroatien und 2.3 Punkten Abstand auf Neuseeland, das am wenigsten gute Ergebnis und um 0.3 Punkte die Goldmedaille verpasst. Schade!

Trotz Zehntelpunkten Unterschied – die Leistung, die an diesem Morgen von unserem Team vollbracht wurde, ist schlichtweg beeindruckend. Selbst unter hohem Druck traten alle souverän und selbstbewusst auf, liessen sich durch schwierige oder unerwartete Fragen nicht beeindrucken, sondern antworteten ruhig und klar und hielten sich stets an die zuvor besprochene Strategie. Diese Qualitäten, die unser Team da gezeigt hat, sind meiner Meinung nach wirklich Gold wert.

An der Closing Ceremony werden die Zertifikate und Medaillen vergeben, viele Gruppenfotos gemacht und der Austragungsort sowie die Probleme für das nächste IYNT bekannt gegeben.

Anschliessend gehen wir zusammen mit dem Team aus Neuseeland abendessen, um gemeinsam die tolle Leistung zu feiern, die beide Teams an diesem Tag gezeigt hatten.

Zurück im Hotel gehen einige schlafen, während andere noch bis tief in die Nacht Karten spielen und Horrorfilme schauen. Entsprechend müde machen wir uns am nächsten Morgen um 5.00 auf den Weg zum Flughafen, die meisten schlafen, während andere den Sonnenaufgang beobachten. Zurück in Zürich wartet ein ganzes Empfangskommittee aus Eltern und Geschwister mit Plakat und gigantischen Toblerone auf uns. Die letzten Abschiedsworte werden getauscht, in letzter Minute noch die Weissrussische Schokolade ausprobiert. Und dann heisst es: bis hoffentlich am nächsten IYNT!